Bürgerbeteiligung Innenstadt Bremerhaven

Die Jasagerin und die Neinsagerin


 

Die Jasagerin:

 

Bei meinen genussvollen Flügen durch das Innere meiner Stadt entdecke ich so viel Neues – das ist kaum auszuhalten, so schön! Und: Im Vergleich zu früher ist sie kaum wiederzuerkennen! So grün leuchtete die „Bürger“ noch nie; sie ist ein richtiges Naturjuwel geworden! Die fleischgewordene Klimastadt!

 

Die Neinsagerin:

 

Na, geht's auch eine Spur weniger enthusiastisch? Komm mal runter, Alte!

 

Die Jasagerin:

 

Also konkret: An den Häuserwänden wachsen hier grüne senkrechte Wiesen – sensationell! Die Fußgängerzone ist ein einziges Blumenmeer – und zwischen den Beeten stehen bedachte „Urbane Inseln“, aus denen die Songs der Songwriter live heraustönen. Im früheren Abelmann-Bistro liest gerade eine Frau aus ihrem neuesten Roman. Einträchtig strömen Fußgänger und Radfahrerinnen den Geschäften, Kulturläden und Ausstellungsräumen entlang und betrachten die Großtransparente, die die öde „Bürger“ zeigen, wie sie noch vor 6 Jahren aussah: Tristesse – und heute dieses quirlige Leben! Und dann sind da noch die Jogger auf dem neuen „Bürger“-Laufparcours und die lachenden Kinder auf den vielen Spielplätzen!

 

Die Neinsagerin:

 

Einspruch, euer Ehren! Von wegen einträchtig: Ein wildes Durcheinander ist das hier, ein Kämpfen und Schreien; die Radler jagen die Fußgängerinnen und das Geschrei der Kinder ist markerschütternd.

 

Die Jasagerin:

 

Quatsch mit Soße. Die ganzen Leerstände von früher sind verschwunden und neu belegt mit jungen bunten Geschäften und Startups. Vor der Großen Kirche zelebriert gerade eine junge Bremerhavener Band ihr Popkonzert, direkt neben der neu erbauten Markthalle mit ihren Früchten, Gemüsen und Blumen, alles in Bio-Qualität. Überall brummt und summt es!

 

Die Neinsagerin:

 

Jetzt halt mal die Luft an. Und wenn du dich beruhigt hast, was siehst du dann? Die aufdringlichen Barber Shops der Ausländer und die halbgaren Angebote junger Träumerinnen. Ja, die „Bürger“ ist wirklich kaum wiederzuerkennen: Sie ist endgültig von den Migranten besetzt! Alles ist beliebig und geschmacklos zugepflastert. Und die tobenden Jugendlichen auf ihren Rollerblades vertreiben auch noch die letzten zahlungskräftigen Kunden.

 

Die Jasagerin:

 

Welche Überheblichkeit und welcher Rassismus schallt da aus dir heraus! Kannst du nur Alptraum? Mein Flug trägt mich hinüber zum ehemaligen Karstadt-Gebäude, in dem jetzt das neue Faire Kaufhaus pulst. Dort gibt es alles, was das Herz begehrt, alles fair produziert und gehandelt und biologisch: Essen, Trinken, sich Kleiden, Second Hand- und Recycling-Shops, Kreativ-Werkstätten, Tauschbörse, Maler, Schreiner, Bio-Baustoffe, Naturkosmetik, Weltladen, Unverpacktladen, alles unter einem Dach. Etwas Einmaliges in der Stadt, ja in der ganzen Region!

 

Die Neinsagerin:

 

Also so eine Art Karstadt auf Bio-Basis. Und wer braucht das in Bremerhaven, bitteschön? Wer kann so was bezahlen? Eine Spielwiese für eine gutbetuchte lokale Mini-Elite. Super Idee das.

 

Die Jasagerin:

 

Und jetzt schwebe ich in mein absolutes Traumobjekt hinein: Das Interkulturelle Zentrum, das nunmehr das ganze Saturn-Gebäude einnimmt. Ein Leuchtturm! Ebenerdig der große Veranstaltungsraum für alles, was du dir denken kannst: Tanz, Theater, Chorauftritt, Boxkampf, Musik, Vorträge. Und von der Fußgängerzone aus einladend gut zu sehen: Das helle Café. Im zweiten Stock die Räume für Migrantinnen und für Frauen, Alte, Schülerinnen und für die vielen Bremerhavener Initiativen, für AWI- und Hochschul-Infos. Und dann ein Stockwerk höher die Stadtbibliothek mit noch mehr Platz! Und noch eine Etage höher: Die Proberäume für Bands und Chöre. Ist das nicht toll? Ich schwebe!

 

Die Neinsagerin:

 

Ist schon ok soweit. Gar nicht schlecht. Aber alles auf Pump. Wer kann so was finanzieren?

 

Die Jasagerin:

 

Also im Handstand-Überschlag rückwärts bist du richtig gut, meine Liebe. Glückwunsch! Und als nächstes ist für dich das Fliegen und Schweben dran, das Lächeln lernen, das Lachen und Glücklichsein. Dann segeln wir gemeinsam durch die neue Innenstadt.

 

Eberhard Pfleiderer